National-Historisches Museum Athen

Besuch am Sonntag, 3.7.2016, ca. 3 Std. Trägerin des ‚National Historical Museum‘, das sich seit 1960 in diesem Gebäude befindet, ist die 1882 gegründete ‚Historische und Ethnologische Gesellschaft Griechenlands‘. Das Gebäude – wie aus einem Bilderbuch für altehrwürdige Museen – beherbergte ab 1858 das griechische Parlament, bis es 1935 in das königliche Schloss am Verfassungs-(Syntagma-) Platz umzog. Der Plenarsaal bildet eine der Attraktionen, bleibt aber in der Gesamtpräsentation erstaunlich unberücksichtigt.

Thema des Museums ist die Geschichte Griechenlands etwa seit der Eroberung von Konstantinopel/Byzanz durch die Osmanen 1453 mit der Einverleibung dessen, was wir unter Griechenland mit verklärendem Blick auf die Antike verstehen. Ähnlich ist’s ja mit dem anderen antiken Großstaat Europas, Rom, nur dass dort das Problem im Süden liegt. Kernthema ist die Entstehung des modernen griechischen Staates seit Beginn des 19.Jhs., weniger der griechischen Gesellschaft. Dabei war die Einigung Griechenlands v.a. in der Anfangszeit immer auch mit revolutionären Bewegungen aus dem Volk wenn schon nicht getragen, so doch stark fundiert.

Aufrührer und ihre Waffen zu Beginn des griechischen Aufstands, 1820er Jahre Foto: Gerd Walther

Aufrührer und ihre Waffen zu Beginn des griechischen Aufstands, 1820er Jahre
Foto: Gerd Walther

Diese Geschichte wird in 19 Raumeinheiten rund um den ehemaligen Plenarsaal gezeigt. Zu jedem Raum gibt es einen zusammenfassenden, informativen Text auch auf englisch. Einen Flyer auf deutsch erhält man am Eingang. Das Museum besitzt sehr viele durchaus interessante Exponate, manchmal ertrinkt man fast in der Fülle an Waffen und Portraits. Grimmig-verwegen blickende Haudegen dominieren am Anfang, nicht zufällig bedeutet das Wort ‚Klephte‘ sowohl Freischärler als auch Räuber. Hinzu kamen große Seehelden, anfangs wohl eher Piraten, dann mehr oder minder honorige Kapitäne, oft im Dienst ausländischer Staaten. Mit den napoleonischen Kriegen kommt Bewegung in diesen Teil der Welt, zumal das Osmanische Reich als Großmacht schwächelt. Man betont die Unterdrückung des christlichen Glaubens (und beschuldigt sich gleichzeitig der Ketzerei), man glorifiziert einen Freiheitskampf, der zu Hause schon verloren war, man stilisiert das antike Griechenland zur Wiege der demokratisch strukturierten Menschheit.

r Premierminitster (PM) über dem Bild mit dem Parlament. Von links: T. Deligiannis: 5 x PM 1885-1905, A. Koumoundouros: 10xPM 1865-1882, C. Trikoupis: 7xPM 1875-1895 Foto: Gerd Walther

3 Premierminister (PM) über dem Bild mit dem Parlament. Von links:                     T. Deligiannis: 5 x PM 1885-1905,
A. Koumoundouros: 10 x PM 1865-1882,
C. Trikoupis: 7 x PM 1875-1895
Foto: Gerd Walther

Allmählich weicht die Menge der ausgestellten Waffen dann Federhaltern, Aktenmappen und Vereinbarungen. Könige, Staatsmänner und Generäle treten an die Stelle verwegener Klephten. Der Wittelsbacher Otto I. wird 1833 – 1862 erster ausländischer König in Abhängigkeit der drei Schutzmächte England, Frankreich und Russland. Das hält ihn nicht davon ab, sich trotzdem Herrscher ‚Von Gottes Gnaden‘ zu nennen. Der Autismus einer überkommenen Gesellschaftsschicht. Auch sonst macht dieser katholische König so ziemlich alles falsch, was man nur falsch machen kann. Kaum sind seine Importsoldaten weg und das Geld knapp, trotzen ihm die Griechen 1844 eine Verfassung ab und werfen ihn 1862 hinaus. Er geht so, wie er gekommen war – auf einem englischen Kriegsschiff – und erhält in der Bamberger Residenz sein royales Austragsstüberl.

Die Betrachtungsebene des Museums bleibt die Sichtweise der Entscheidungsträger, ein museumsdidaktisches Herangehen etwa so alt wie das Museum und die schönen Vitrinen. Somit wird’s wieder stimmig. Einmal gibt um 1835 der zeichenbegabte bayerische Soldat Ludwig Köllnberger einen kurzen Einblick in den Alltag. Das Volk bekommt – abgesehen von den Aufrührern zu Beginn des 19. Jhs – seinen Auftritt am Schluss in drei separaten Räumen unter dem folkloristischen Aspekt verschiedener Trachten. Wenn man diese Sichtweise akzeptiert und genau hinsieht, erhält man an den Kanonen vorbei einen erstaunlich tiefen Einblick in die Entstehung des modernen griechischen Staates, auf Klientelstrukturen einer Honoratiorenkaste, in der letztendlich ein Parlament eine ebenso formale wie fragile Hülle darstellt. Das Museum selbst ist  Ausdruck dieser Denkweise und gibt damit einen Einblick in das Denken und Handeln der griechischen Oberschicht. Unfreiwillig.

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