Besuch am Freitag, 17. August 2018, ca 2,5 Std. Das ‚Berliner Medizinhistorische Museum der Charité‘ geht auf die Gründung eines Pathologischen Museums durch Rudolf Virchow 1899 als Ausdruck der zunehmenden Verwissenschaftlichung der Medizin zurück. In diesem Zusammenhang begann man, Krankheitsverläufe bis hin zum Tod für Ausbildungszwecke genau zu dokumentieren und archivieren. Ab 1919 nur noch für ein Fachpublikum zu Lehrzwecken zugänglich, wurden Museum und Sammlung im 2.Weltkrieg weitgehend zerstört. Nach der Wiedervereinigung Deutschlands baute man auch das Museum der im Ostteil Berlins gelegenen Charité wieder auf. 1998 wurde es eröffnet, 2006/07 erweitert und neu gestaltet. Das Museum ist eine Einrichtung der Charité.

Foto: Präparatesaal, 3. Ebene, Feucht- und Trockenpräparate, Rudolf-Virchow-Sammlung
Berliner Medizinhistorisches Museum der Charité
Dauerausstellung „Dem Leben auf der Spur“
http://www.bmm.charite.de
Auf zwei Ebenen mit je zwei Sälen breitet sich heute das Museum aus, dazu die unterste Ebene für Sonderausstellungen. Im Grunde ist alles sehr funktional und übersichtlich geordnet, wären da nicht die Exponate, die von (meist kranken) Menschen irritierend anders wirken, als etwa ähnliche Exponate von Tieren im nahegelegenen Naturkundemuseum. Die Konfusion findet im Besucher statt.
In der Hinführung zur modernen Medizin mit seinen anatomischen Theatern seit dem 17.Jh. folgt als erster Schwerpunkt die Tätigkeit Virchows als Beispiel für die Medizin im späten 19.Jh. Dieser Blick wird im nächsten Saal vertieft mit der auf Virchow zurückgehenden Präparatesammlung zu wichtigen Körperorganen in großen, schönen, alten Vitrinen: Skelett und Schädel, Haut und Hirn, Herz und Lunge etc. Und auch in den Vitrinen herrscht wieder eine strenge – man möchte fast sagen medizinische – Ordnung in gesunde Organe, solche mit Krankheitsbefall und Missbildungen. Da stehen sie nun, seien es Skelette, einzelne Knochen oder sog. Nasspräparate in ihren mit Alkohol gefüllten Behältnissen, aufgeschnitten oder im Ganzen und erinnern oft eher an Freak-Shows auf Jahrmärkten um 1900. Man fragt sich hier mitunter schon, wieso man sich so etwas antut, und versteht auch die restriktiven Zugangsbestimmungen des Museums (Jugendliche unter 16 Jahren nur mit Erziehungsberechtigten) sowie das Fotografierverbot (zumindest in diesem Bereich).
Die Verbindung zur nächsten Ebene schafft eine Zeitleiste mit informativen Bildern und Texten zur Geschichte der Medizin am Beispiel der Charité, die kurz nach 1700 als Pesthaus errichtet worden war. Oben geht es nach 1850 nahe an die Gegenwart. Wenn man so will, ist es ein immer tieferes, genaueres Eindringen in den Körper und der Versuch, dessen Funktionieren oder vorhandene Fehlfunktionen zu begreifen. Das betrifft die Entschlüsselung des Kreislaufsystems, der Herz- und Hirnströme bis hin zu einem DNS-Modell und zur Entschlüsselung des menschlichen Genoms. Eingeschlossen ist hier auch jenes letztendlich nicht überraschende Krankheitsbild der Medizin im Nationalsozialismus. Deren – ärztlichem Auftrag der Heilung diametral entgegengesetzte – Entartung in den KZs wären ohne einen entsprechenden Unterbau mit einer bei Ärzten weit verbreiteten Demokratie- und Republikfeindlichkeit nicht denkbar gewesen.

Foto: Berliner Medizinhistor. Museum der Charité, Dauerausstellung „Dem Leben auf der Spur“
4. Ebene, „Krankensaal“ Eiserne Lunge bei Kinderlähmung um 1958 links im Bild
http://www.bmm.charite.de
Erfreulich, wenn man das hier überhaupt sagen kann, ist im letzten Saal die Hinwendung zum Krankenhausbetrieb mitsamt Patienten. An zehn Krankengeschichten zwischen 1727 mit einer ‚Schweren Geburt‘ bis zu einer Sepsis 2006 wird hier das, was in den vorherigen Räumen auch aus analytischen Gründen separiert, zergliedert, zerschnitten war, zusammengeführt. Es entstehen wieder reale Menschen, selbst wenn sie krank waren. Auch hier geht etwa die ‚Eiserne Lunge‘ zur künstlichen Beatmung bei Kinderlähmung, aus der nur der Kopf herausschaute, näher, als man will. Dies ist ein weiterer Aspekt zu dem sehr sehenswerten, interessanten Museum: Man muss Distanz zum Gezeigten aufbauen, um sich den Exponaten und ihrer Geschichte nähern zu können, ganz im Gegenteil zu anderen Museen. Der Besuch ist sehr zu empfehlen, man sollte aber hart im Nehmen sein.