Ehem. Hauptsynagoge Berlin, Oranienburger Straße

Besuch am Montag, 17.10.2016, ca 1,5 Std. Die ‚Stiftung Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum‘ befindet sich in der Oranienburger Str. 28-30 in Resten der früheren Hauptsynagoge Berlins. Trägerin der Einrichtung ist die gleichnamige Stiftung.

Installation mit Thorarolle und Foto des früheren Hauptraums Foto: Gerd Walther

Installation mit Thorarolle und Foto des früheren Hauptraums
Foto: Gerd Walther

Die ‚Neue Synagoge‘ wurde 1866 eingeweiht. Mit ca. 3200 Sitzplätzen war sie die größte Synagoge Deutschlands. In der damaligen Auseinandersetzung um Konstanz und Wandel folgte sie dem ‚Neuen Ritus‘, was sich u.a. am Einbau einer Orgel und – später – an der Bestallung einer Rabbinerin zeigte. Etwa 50 m ist die wiedererrichtete markante Kuppel des nach maurischen Vorbildern gestalteten Bauwerks hoch. In der Pogromnacht am 9.11.1938 versuchten SA-Trupps, die Synagoge zu zerstören, was vom Vorsteher des zuständigen Polizeireviers verhindert wurde. Am 23.11.1943 fiel die jetzt anderweitig benutzte Synagoge einem Bombenangriff zum Opfer. 1958 wurden – wie fast bei allen Synagogen Berlins – die Ruinen des Hauptraums der in Ostberlin liegenden Synagoge wegen Einsturzgefahr gesprengt. Etwa 7000 Juden lebten damals noch in Berlin, wenige davon in Ostberlin. Ca. 160.000 waren es vor 1933. Mit der Gründung der Stiftung wurde ab 1988 der an der Straße liegende Bereich, der als Ruine zur Mahnung erhalten geblieben war, restauriert und 1995 mit einer ständigen Ausstellung eröffnet. Drei Räume stehen dafür zur Verfügung, dazu Räume für Sonderausstellungen im Obergeschoss, die ich nicht besucht habe. Als Synagoge wird das Gebäude nicht mehr genutzt.

Es ist nicht viel erhalten geblieben nach den Zerstörungen und der langen Zeit bis zur Restaurierung. Doch aus dem wenigen hat man eine erstaunlich intensive Ausstellung gemacht. „Synagoge“, heißt es gleich zu Beginn, „war immer nicht nur Betstätte, sondern auch Versammlungshaus sowie Lehr- und Lernstätte.“ Sie war eingebettet in ein breites Umfeld vielfältigen jüdischen Lebens in der Spandauer Vorstadt und in Berlin. Einem Viertel, das sich durch innerstädtische Wanderbewegungen, dem Wegzug reicher, alteingesessener Juden in ‚bessere‘ Wohngegenden, zum Viertel mit einer eher ärmeren, orthodoxeren jüdischen Bevölkerungsschicht wandelte. Natürlich ist angesichts der Materiallage die Ausstellung mitunter leicht textlastig, ein Audioguide, den ich nicht benutzt habe, erspart wohl manche Lektüre. Aber die Ausstellung ist nicht sehr groß, es geht also.

Plan des Umfelds der 'Neuen Synagoge' 1930 mit weiteren jüdischen Einrichtungen (blau) Foto: Gerd Walther

Plan des Umfelds der ‚Neuen Synagoge‘ 1930 mit weiteren jüdischen Einrichtungen (blau)
Foto: Gerd Walther

Man bekommt einen guten Einblick zunächst in die Geschichte des Hauses, seiner Erbauung, der Innengestaltung mitsamt jeweiliger Funktionen bis hin zur Dokumentation von Zerstörung und Wiedererrichtung. Ein weiterer Teil beschäftigt sich mit dem Leben in der Synagoge. Da geht es zunächst um das Haus selbst, sein ‚Personal‘. Einzelne Rabbiner und Kantoren werden kurz vorgestellt, dazu die Besucher bis hin zu den Sitzplatznummern im Synagogenraum mit dazugehörigen Eintrittskarten bei den hohen jüdischen Festtagen (und zu anderen Veranstaltungen). Sonst war übers Jahr genügend Platz vorhanden. Hinzu kommt das weitere Umfeld im Stadtviertel, Vereine, Organisationen, Geschäfte, Wohnungen und Firmen, Einrichtungen aus dem Alltagsleben einer (jüdischen) Gemeinde, Kindergärten, Schulen, Krankenhäuser, Altersheime, Friedhof, Lokale mit koscherem Essen etc. Schon im Gefolge der Pogrome in Osteuropa in den 1880er Jahren wurde es nötig, ein Netz von Hilfen aufzubauen, um flüchtende Juden auf der Weiterreise in andere Städte und Länder, v.a. nach Amerika zu versorgen, um sie, wie man heute sagen würde, vor der Ausbeutung durch Schlepperbanden zu schützen. Im Nationalsozialismus wurde v.a. darauf geachtet, Kinder und Jugendliche auf ein Leben außerhalb Deutschlands vorzubereiten. Am 24.1.1933 wurde neben der Synagoge sogar ein Jüdisches Museum errichtet, dessen Kellerräume später als Foltergefängnis der Gestapo dienten.

Das alles ist sachlich-informativ gehalten. Man erhält einen sehr guten und kompakten Überblick über Wesen, Leben und Leiden einer jüdischen Gemeinde und damit über den jüdischen Alltag nicht nur der Zeit bis 1945. Und dies ohne erhobenen Zeigefinger.

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