Holocaust-Gedenkzentrum

Besuch am Sonntag, 2.7.2017, ca. 2,5 Std. Das 2004 eröffnete Gedenkzentrum besteht aus der Dauerausstellung von 2006 in neuen, unterirdisch angelegten Räumen, einer profanisierten Synagoge aus dem Jahr 1924, in der jetzt Sonderausstellungen gezeigt werden und einer Gedenkwand mit den eingravierten Namen von Opfern. Erinnert wird an die Ermordung der ungarischen Juden und Roma. 2016 wurde eine Gedenktafel für vier ermordete ‚Zeugen Jehovas‘ enthüllt. Träger des Gedenkzentrums ist über das Ungarische Nationalmuseum der Staat Ungarn.

Marschkolonnen…
Foto: Gerd Walther

Die Dauerausstellung ‚Von der Entrechtung zum Genozid‘ besteht aus acht mehr inhaltlich als chronologisch strukturierten Abteilungen. Auf eine Einleitung zu den Verhältnissen v.a. in Ungarn nach 1918 folgen Stationen zum Entzug der Rechte, des Eigentums, der Freiheit, der menschlichen Würde und des Lebens. Den Abschluss bilden die Bereiche Reaktionen (Responses) und Befreiung. Sie kommt weitestgehend ohne Exponate im engeren Sinn aus. Zu Beginn und fast am Ende befinden sich in den dunkel gehaltenen Räumen, die durch horizontale Streifen verbunden werden, Alltagsgegenstände bzw. Häftlingsutensilien. Biografien von vier jüdischen und einer Romafamilie begleiten die allgemeine Darstellung, die von Bildern, zusammenfassenden Texten (auch auf englisch) und solchen von einzelnen Opfern, Papier-, Film- und Audiodokumenten getragen wird.

Stiefelgetrappel begleitet durch einen Gang, Marschkolonnen, ein typisches Geräusch der Zeit, freiwillig gebildet oder auch nicht. Die autoritär-nationalistische Horthy-Regierung (1920 – 1944) führte Ungarn im Bestreben, 1919 verlorenes Staatsgebiet zurückzugewinnen, an die Seite Italiens und Deutschlands, zumal dort vergleichbare Führungsstrukturen herrschten. Auf der Seite Deutschlands und Italiens trat Ungarn 1941 in den 2.Weltkrieg ein. Das brachte zunächst beträchtliche Landgewinne. Wenn auch in ihrer Radikalität lange Zeit gemäßigter, hatte das Horthy-Regime seit 1920 auf antisemitische Maßnahmen gesetzt. Ab 1941 erfuhren sie eine massive Ausdehnung. Im März 1944 wurde Ungarn, das mittlerweile insgeheim Verhandlungen um einen Waffenstillstand führte, von der deutschen Armee besetzt. Noch unter der Amtszeit des ‚Reichsverwesers‘ Horthy wurden allein im Sommer 1944 etwa eine halbe Million Juden nach Auschwitz deportiert und dort ermordet. Dabei zählte die maßgebliche SS-Gruppe um Adolf Eichmann maximal 150 – 200 Mann. Ohne massive Unterstützung durch die ungarische Regierung und Behörden wäre das nicht gegangen. Ab Dezember folgte nach einer Aussetzung der Deportationen und der Verhaftung Horthys durch die neu eingesetzte nationalsozialistische ungarische Regierung der ‚Pfeilkreuzler‘ eine 2.Verfolgungswelle.

Auf die Entrechtung folgte die Enteignung der Juden, nach dem Raub des Eigentums der Verlust der persönlichen Freiheit. Der Judenstern diente der Stigmatisierung, Ghettos entstanden 1944, wo früher nie welche waren, die Juden wurden auf wenige abgesperrte Wohnbezirke konzentriert. Die Ghettoisierung war aber wiederum nur das Vorspiel zur Deportation. Ehe man den Menschen fabrikmäßig das Leben nahm, nahm man ihnen auch individuell die Würde, versuchte es zumindest, machte sie zu Objekten dubioser medizinischer Versuche, trieb in der Öffentlichkeit rohe Späße mit Wehrlosen.

Befreiung…
Foto: Gerd Walther

Ein letzter Abschnitt befasst sich mit der Befreiung und dem Umgang mit diesem Morden, den Tätern und v.a. mit der Frage, wie denn die Juden selbst dies verarbeiteten – oder auch nicht. Denn wohl auch darüber kann man sich kaum ein Bild machen. Eine Reaktion war und ist die aufmerksame Beobachtung politischer Entwicklungen. Nicht zuletzt deshalb wurde das Holocaust-Gedenkzentrum als Ort ritualisierten Trauerns weit außerhalb des Stadt- wie des alten jüdischen Viertels kritisiert. Ein Ort, der den Blick ablenken soll vor einem Wiederaufleben antisemitischer und nationalistischer Tendenzen in Ungarn bis in die Regierungsspitze, was sich u.a. in der moralischen Rehabilitierung Horthys äußert. Auch deshalb sollte man sich unbedingt ansehen, was vor etwa 75 Jahren in Mitteleuropa möglich war. Ein Kind würde ich nicht mit in die Ausstellung nehmen.

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