Besuch am Freitag, 30.6.2017, ca. 3,5 Std., davon 2,5 Std. im Museum. Die 1859 eingeweihte Synagoge im byzantinisch-maurischen Stil an der Dohány Straße (Tabakstraße) ist nicht nur die größte Synagoge in Europa, sie gehört auch zu den älteren Gebäuden des Stadtteils Pest, der sein heutiges Aussehen v.a. in der 2.Hälfte des 19. Jhs erhielt. Neben der Synagoge liegen ein Holocaust-Denkmal, die orthodoxe Heroes-Synagoge, ein Massengrab, der Raul Wallenberg Park und, wo bis 1896 das Geburtshaus von Theodor Herzl stand, dem Begründer des Zionismus, das Museum. Man hat nur zum Gesamtkomplex Zugang. Trägerin ist die Jüdische Gemeinde Budapests.

Inneres der Synagoge mit Hinweisen, wo in welcher Sprache Erläuterungen gegeben werden
Foto: Gerd Walther
Die am Rande des 1944 geschaffenen jüdischen Ghettos stehende Synagoge wurde im 2.Weltkrieg durch Bomben schwer beschädigt. 1990 bis 1996 erfolgte eine umfassende Restaurierung. Die über 3000 Sitzplätze verteilen sich je etwa zur Hälfte für die Männer im Hauptschiff und für die Frauen auf der zweigeschossigen Galerie. Das gibt dem hallenförmigen Bau trotz der Innenraumgestaltung mit maurischen Elementen einen Grundcharakter christlicher Kirchen. „Die schönste katholische Synagoge der Welt“ hat man sie deshalb auch genannt. Nicht zuletzt die Orgel links und rechts des Thoraschreins und der Bima, dem Vorlesepult, verweisen auf den hier gepflegten liberalen Ritus.
Das Jüdische Museum erstreckt sich über zwei Etagen mit jeweils vier Räumen. Mit Unterbrechungen geht es zurück auf ein schon 1916 eröffnetes privates jüdisches Museum. Es unterteilt sich auf die beiden Etagen in die Ausstellungsbereiche ‚365‘, wohl angelehnt an das Jahr im christlichen Kalender, (das jüdische Jahr hat 354 bzw. 384 Tage). Eine Etage höher befindet sich die 2016 eröffnete Ausstellung ‚100! 100 Jahre 100 Objekte‘, entstanden zum 100. Geburtstag des Museums.

Kaminuhr mit der hebräischen Inschrift „Bringe uns, Herr, wieder zu dir, dass wir wieder heimkommen, erneuere unsere Tage wie vor Alters!“ Klagelieder Jeremias 5:21
Foto: Gerd Walther
Die Ausstellung ‚365‘ zeigt wie bei fast allen jüdischen Museen Kultgegenstände. Sie geht in 17 Stationen auf die hohen Feste Passah, Schavuot, Sukkot (Laubhüttenfest) ein, auf Rosch haSchana (Neujahr), Jom Kippur (Versöhnungsfest), Chanukka (Lichterfest) und Purim (Losfest), beleuchtet Wochen- wie Samstage (Szombat) ebenso wie die Lebensstationen Geburt, Ehe, Tod, wobei die Thora den Mittelpunkt bildet. Dabei ist die Ausstellung streng puristisch gehalten. Zumeist an den Wänden befinden sich in den Vitrinen die Exponate, voneinander isoliert, vereinzelt selbst da, wo man sie zu Gruppen zusammengefasst hat. Das erhöht die Konzentration auf das Exponat. Allerdings braucht die leicht spröde wirkende Präsentation entsprechende Beschilderungen, die die Exponate zum Sprechen bringen. Aber in diesem Bereich unterbleibt – außer bei zwei mittig aufgestellten Vitrinen – die Beschriftung zu den Exponaten völlig. Vereinzelt hängen ohne Erläuterung Blätter mit einem QR-Code. Im Museum hatte ich kein Netz, im Hotel stellte sich heraus, dass hier Erläuterungen (nur auf ungarisch) zu finden waren. Das ist zu wenig, zumal während meines gesamten Aufenthalts niemand außer mir diese Informationsquelle nutzte. Die Qualität von Museumsmachern erweist sich u.a. darin, wie gut sie zwischen Exponat und Besuchern vermitteln können, nicht, ob sie an der Spitze des museumsdidaktischen Fortschritts laufen und die Besucher allzuoft alleine lassen. Selbst wenn es sich hier wohl um eine ‚Baustelle‘ handelt, kann man das kommunizieren.
Dabei ist der Ansatz wie auch eine Etage höher mit ‚100 Exponate – 100 Jahre Museum‘ interessant. Jetzt werden die Exponate – wieder in isolierender Anbringung – durch Texte auch auf englisch erläutert. Mittels QR-Code kann man sie auf dem Handy speichern. Zweifellos befinden sich sehr interessante Exponate in der Ausstellung. Zusammen mit kurzen, prägnaten Texten auch zu ihrer Geschichte, nicht nur zu ihrer Funktion, zeigen sie um das Museum herum ein dichtes Geflecht jüdischen Lebens auf. Was eine Etage tiefer noch spröde begann, ermöglicht jetzt ein intensives Eindringen in ungarische jüdische Geschichte auf ganz unterschiedlichen Ebenen des alltäglichen Lebens.