Da inzwischen viele das Rundfunkmuseum in seiner früheren Form nicht mehr kennen, sei eine Rede des langjährigen Nürnberger Kulturreferenten und Kulturhistorikers Prof. Dr. Hermann Glaser wiedergegeben, die er am 17.6.2005 bei einer Ausstellungseröffnung im Museum hielt. Hier der vollständige Text.
Hermann Glaser
Knöpfe und Knopflöcher
Für meine museologische Etüde aus Anlass der Weiter- und teilweisen Neugestaltung des Rundfunkmuseums Fürth – Gerd Walther spricht von einer „Häutung“ – habe ich einen Titel („Knöpfe und Knopflöcher“) gewählt, der sich nur dann erschließt, wenn man die dazu gehörende Geschichte hört oder liest. Vorab will ich sagen, dass diese im ländlichen Arizona spielt, während wir uns hier in Fürth in einem der Zentren der mittelfränkischen Metropolenlandschaft befinden; außerdem geht es um ein Provinzmuseum, während es sich hier um eine überregional höchst anerkannte Institution handelt. Und doch hat die Geschichte, die von dem amerikanischen Kunsthistoriker Patrick Waldberg stammt, auch und gerade renommierten Häusern etwas zu sagen.
Eines Tages stieß er mit einem Kollegen auf das besagte Museum in Arizona –
betrieben von einem Mann unbestimmten Alters, mit Falten durchzogenem, aber lächelndem Gesicht. Die dort ausgestellten Stein- und Pflanzenproben der Gegend, dazu einige ausgestopfte Klapperschlangen, Springmäuse und eine von Milben zerfressene Krusteneidechse konnten die beiden Besucher jedoch nicht weiter interessieren. Als sie schon wieder gehen wollten, führte sie der Mann mit geheimnisvollem Gehabe zu einem geräumigen Anbau, den er offensichtlich nur Leuten zugänglich machte, für die er Sympathie empfand. „Was sich uns darbot war ein ebenso unerwarteter wie verblüffender Anblick: An den Wänden, in Vitrinen, auf Tischen, überall Knöpfe – Tausende von Knöpfen, Knöpfe jeder Größe, jeder Form, jeden Materials und für jeden Zweck. Knöpfe aus Elfenbein, aus Perlmut, aus Ebonit, aus Holz, aus Koralle, aus Kupfer, aus Eisen, aus Emaille, aus Silber, aus Glas, aus Porzellan – ich breche ab: die vollständige Aufzählung würde endlos. Dabei alles, wie es sich gehört, geordnet und etikettiert: Knöpfe mit zwei und mit vier Löchern; kugelige, viereckige, rhombische, spindelförmige, ovale und kubische Knöpfe; Knöpfe in Einlegearbeit und in Filigran; Knöpfe für Unterhosen und Kragen- und Gamaschenknöpfe; Uniformknöpfe für Soldaten, Briefträger und Liftboys; Knöpfe für Damenmäntel und für Abendkleider… Für gewöhnlich, sagte der Kustode, zeige ich Besuchern nur das Museum, denn die meisten, die kommen, sind ungeschliffene Flegel, die sich über mich lustig machen. Aber Ihnen habe ich gleich angesehen, daß Sie Experten sind, von denen meine Schätze bewundern zu lassen mir unbeschreibliches Vergnügen macht. – Wir verließen den liebenswürdigen Einsiedler und fuhren eine ganze Weile, ohne ein Wort zu sagen. Nach einiger Zeit meinte mein Begleiter: Dieser Mann lebt in einer Traumwelt. „Richtig“, sagte ich. „Wir müßten jetzt nur noch eine Frau finden, die Knopflöcher sammelt. Wir würden die beiden zusammenbringen, sie würden heiraten und ihre Sammlungen zusammenlegen. Wir hätten dann endlich ein Weltsystem, das den Geist befriedigte.“
Hier in Fürth – und das sage ich mit großer Überzeugung in Hommage an den Museumsleiter Gerd Walther (ich hoffe, dass er in Zukunft noch mehr kommunale Unterstützung erfahren kann) – ist ein Ausstellungssystem entstanden, das den Geist wahrlich zu befriedigen vermag: Die Knöpfe sind in die Knopflöcher eingeknöpft. Das heißt: die Gegenstände, die Exponate, sind mit großer Kompetenz und wissenschaftlicher Phantasie „textualisiert“, in einen generellen kulturgeschichtlichen Zusammenhang gestellt und somit aus ihrer Isolierung befreit; sie stehen in einem universellen Bezug, sind didaktisch einfallsreich vernetzt.
Museumskritisch ist festzustellen – ich denke dabei gerade auch an große Häuser –, dass zwar überall und mit oft erheblichen Ressourcen „Knöpfe“ gesammelt, erforscht, restauriert und ausgestellt werden, dass aber dabei die Knopflöcher, die übergeordneten Sinnbezüge, „sträflich“ vernachlässigt werden. Statt die Exponate auf Komplexität transzendieren zu lassen, werden sie innerhalb ihres Genres lediglich gehäuft und dekorativ arrangiert. Die Waffen- wie die Porzellansammlung, die Spielzeug- wie die Möbelsammlung bleiben so, jede sui generis, „unter sich“. Besucher und Besucherin sehen sich mit eindrucksvollen und oft sehr wertvollen Stücken konfrontiert, doch fehlt das verknüpfende Band.
Die Gründe dafür sind vielfältig; einer besteht in der Ausbildung der MuseumsmitarbeiterInnen, die sich frühzeitig spezialisieren. Wer von immer weniger immer mehr weiß, kann „seine“ Exponate zwar tiefschürfend interpretieren, hat aber nicht die Kenntnisse, oft auch nicht die Sensibilität, darüber hinausreichende Zusammenhänge, vor allem kulturgeschichtlicher und kulturphänomenologischer Art, herzustellen und die Gegenstände emblematisch (als Schlüssel für geistig-seelische Großräume) zu begreifen. Es ist zwar gut, wenn man viel von Uhren versteht, von ihrer Mechanik, ihrer Historie, ihrer Gestaltung, aber man muss bei einer Sammlung von Uhren vor allem auch etwas von der Zeit mit ihrer Kultur und Gesellschaft, der sie die Stunde schlugen, wissen.
Geht man durch das nun weiter und verbessert gestaltete Fürther Haus, so erlebt man eine ungemein große Reichhaltigkeit an „Knöpfen“; man erfährt aber auch immer Wichtiges über die Zeithintergründe des Rundfunkgeschehens, die Lebensweisen und Gewohnheiten der Rundfunkhörer, über den Zeitgeist und die politischen Situationen. Aufgetürmte „Volksempfänger“ sind nur verstehbar, wenn man von der Rolle des Rundfunks im Dritten Reich, von der ideologischen Manipulation durch die Übertragung nationalsozialistischer Reden (vor allem derjenigen von Adolf Hitler und Joseph Goebbels) erfährt, eben der politische Kontext visualisiert wird. Die Rundfunkgeschichte ist Technikgeschichte, aber immer auch Politik-, Wirtschafts-. Gesellschafts-, insgesamt Kulturgeschichte. Die Geräte vermitteln Programme, die in ihrer Bedeutung wichtiger als die Hardware sind. Übrigens spielt auch die Form (das Design) der Gegenstände eine nicht unerhebliche Rolle; die im Rahmen der Fürther Neugestaltung vielen Exponaten zugegebenen Detail-Fotos (von Wolfgang Geyer) berücksichtigen diesen dem Gesamtverständnis dienenden Aspekt.
Gerd Walther und die vielen, vor allem auch ehrenamtlich tätigen Helfer haben ihr Museum hervorragend weiterentwickelt – eben weil sie wissen, dass Knöpfe in all ihren Nuancen wichtig sind, doch unbedingt der Knopflöcher zwecks „Verknüpfung“ bedürfen; damit das Museum sich als ein Ort des Sinnverständnisses, den Geist befriedigend, erweist.