Besuch am Samstag, 16.11.2019, ca 1,5 Std. Das ‚Musée de la vie romantique‘ im ‚Hôtel Scheffer-Renan‘, Rue Chaptal 16, liegt im Pigalle-Viertel unterhalb der Metro-Station ‚Blanche‘ der Linie 2. Es befindet sich im von Ary Scheffer um 1830 erbauten Atelier und in seinem Wohnhaus. Scheffer (1795 – 1858) war ein holländisch-französischer Maler der Romantik. Er lebte hier von 1830 bis kurz vor seinem Tod. Seit 1831 scharte er allwöchentlich einen Kreis gleichgesinnter Künstler, Intellektueller, Religionsphilosophen und Politiker um sich. 1987 wurde hier das Museum eröffnet. Trägerin ist die Stadt Paris. Den Audioguide habe ich nicht genutzt. Die Texte sind durchgehend auf französisch, es liegt aber eine 16-seitige Broschüre mit Texten zum jeweiligen Thema der Räume auf englisch aus.
Im Museum gibt es eine Differenz zwischen dem, was es zu sein vorgibt, und dem, was es ist. Denn das romantische Leben (la vie romantique) ist etwas anderes als das Leben in der Romantik (la vie dans la romance), zumal das Adjektiv ‚romantisch‘ bei den Besuchern mit höchst unterschiedlichen Vorstellungen verbunden wird. Die haben oft gar nichts mit dem Leben in der Zeit der Romantik in der 1. Hälfte des 19. Jhs zu tun. Aber offenbar spielt man absichtlich mit dieser verwaschenen Begrifflichkeit – und hat Erfolg damit. Es war sehr voll und die Räume sind zumeist klein. Romantisch fand ich es jedenfalls nicht.
Von der Rue Chaptal kommend, betritt man nach einem etwa 50 m langen Weg eine andere, fast ländlich anmutende Welt. Links und rechts zwei Ateliers, im rechten malte Scheffer, im linken stellte er aus. Da traf sich fast 30 Jahre lang freitags der Freundeskreis. Über einen gepflasterten Hof gelangt man zum Wohnhaus mit acht Zimmern auf zwei Etagen, der hübsche ehemalige Wintergarten wurde zur Teestube umgebaut. 1812 war Scheffer mit seiner künstlerisch ambitionierten Familie nach Paris gekommen, 1822 wurde er Mallehrer der Kinder des späteren ‚Bürgerkönigs‘ Louis-Philippe (1830 – 1848). Der förderte Scheffer entsprechend. Bei einer zumindest lange Zeit durchaus liberalen Grundhaltung bildeten religiöse Themen, das Mittelalter, literarisch inspirierte Motive u.a. zu Goethes ‚Faust‘, zu Werken von Bürger, Scott, Lord Byron, Dante sowie viele Portraits nicht zuletzt aus dem Umfeld des ‚Bürgerkönigs‘ das Hauptwerk von Scheffer (wie auch anderer Romantiker).
Das Museum liegt, was im Museum und mit einer Tafel auf der Straße leider nur kurz erwähnt wird, in einer Gegend, die um 1830 ‚Nouvelle Athènes` hieß, einem von Künstlern geprägten Umfeld mit einzelnen Hôtels in der Nähe der Vergnügungsparks des ‚Tivoli‘. Bis in die 1880er Jahre erfolgte die jetzige kompakte Bebauung im Gefolge des Stadtumbaus durch Haussmann, in dessen Gefolge die Künstler auf den billigeren Montmartre auswichen. Mich hätte diese reale Seite des romantischen Lebens schon sehr interessiert. Zum Umfeld von Ary Scheffer gehörte auch die – ungleich bekanntere – George Sand, der v.a. das Erdgeschoss des Wohnhauses gewidmet ist. Aber nur mit Nummern ohne Erläuterung über mehrere Vitrinen verteilte Teile des Familienschmucks sind eher Platzhalter als ein sinnvoller Beitrag zum Thema. Oder die Einrichtung eines Zimmers zu George Sand. Wer hier nicht gehörige Vorkenntnisse mitbringt, sieht in erster Linie viel altes Zeugs von unklarer Relevanz, selbst wenn hübsche Sachen und Gemälde darunter sind. Leider kommt das Museum der Aufgabe, dies zu einem sinnvollen Ganzen zusammenzuführen und dem Besucher verständlich zu machen, kaum nach.
Das ist schade, denn die kleine Oase einer vergangenen Zeit ist nicht nur optisch reizvoll. Auch das personelle Umfeld mit Ary Scheffer und George Sand, Franz Liszt und Frédéric Chopin, Alfred de Musset und Victor Hugo, Eugène Delacroix und Thédore Gericault, um nur einige Künstler zu nennen, hätte Potential. Aber offenbar verlässt man sich auf den schwammigen Titel des ‚Museums des romantischen Lebens‘, um Besucher anzuziehen. Man sollte sich für einen Besuch kein Wochenende aussuchen und sich vorher über die Romantik in Frankreich und das interessante Leben vor Ort um 1830 informieren, um das an sich hübsche, kleine und nicht uninteressante Museum genießen zu können.