Jüdisches Museum Berlin 2022

Besuch am Samstag, 21.5.2022, fast 3 Std. Das 2001 im neu geschaffenen markanten Libeskind-Bau mit 3500 qm eröffnete ‚Jüdische Museum Berlin‘ schloss 2017 für eine Neugestaltung. 2020 erfolgte die Wiedereröffnung mit neuer Museumsleitung. Träger des ‚Jüdischen Museums Berlin‘ ist eine gleichnamige öffentlich-rechtliche Stiftung unter der Rechtsaufsicht der ‚Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien‘.

Der Ausstellungsbereich zu den vielen Einschränkungen jüdischen Lebens zwischen 1939 - 1945.
Foto: Gerd Walther

Der Ausstellungsbereich zu den vielen Einschränkungen jüdischen Lebens zwischen 1939 – 1945.
Foto: Gerd Walther

Nun weiß man, dass eine Neugestaltung nicht unbedingt auch eine Verbesserung zur Folge haben muss. Zumal, wenn es heißt, die vorherige Ausstellung sei ‚in die Jahre gekommen‘, umgeht man doch mit dieser für Museumsmenschen erstaunlichen Abqualifizierung meist eine inhaltliche Erörterung. Jetzt rücke man lt einer Pressemitteilung die Beziehungen von Juden zu ihrer nicht jüdischen Umgebung in Geschichte und Gegenwart in den Fokus, greife stärker Themen jüdischer Kultur und Religion auf und berücksichtige die neuere Forschung. Warum man die ebenso interessante wie auch in jüdischen Museen seltene Dokumentation zum Alltag der Hausier- und Betteljuden – also der Masse der Juden – in der frühen Neuzeit drastisch reduziert hat, ist schwer verständlich. (Zumeist wertvolle) Ritualgegenstände zeigt inzwischen jedes Provinzmuseum zur jüdischen Geschichte, was zwar wichtig ist, aber eigentlich fängt es da erst an. Zudem reagiere man auf veränderte Sehgewohnheiten und Besuchererwartungen. In der Praxis werden häufig Exponate, die unmittelbar zum Betrachter sprechen könnten, durch moderne Museumsmedien, mit denen jetzt mittelbarer erklärt wird, ersetzt bzw.heftig umrahmt.

Im Ausstellungsbereich zum Holocaust
Foto: Gerd Walther

Im Ausstellungsbereich zum Holocaust
Foto: Gerd Walther

Die Ausgestaltung ist abstrakter, kühler, intellektueller geworden. Dreidimensionale Exponate wie der Hochzeitspaldachin oder die Bank aus der Beschneidungszeremonie hat man entfernt. Die Exponate in Vitrinen stammen häufig aus dem rituellen Umfeld, ein weltliches Alltagsleben aus der Zeit vor dem 19. Jh. findet kaum statt. Dafür dominieren über weite Strecken Gemälde und Bilder mit den Portraits berühmter Juden. Die Abstraktion und Stilisierung der Präsentation nimmt noch zu, wenn man ins 20. Jh. und zum Holocaust kommt. Der Durchgang ist hier eher futuristisch wie in einem Science-Fiction mit einer Art matter, leicht reflektierender Aluminiumverblendung strukturiert. Aber verschwindet nicht die ‚Banalität des Bösen‘, um mit Hannah Arendt zu sprechen, hinter einer solchen künstlerisch-abstrahierenden Gestaltung? Der Holocaust hat sich doch in einer realen Welt abgespielt. Himmler ließ etwa von der SS eine Porzellanfabrik betreiben, in der u.a. Nippes-Rehlein und Häschen für die Wohnzimmer der SS-Männer hergestellt wurden, damit sie sich abends daheim in entspannender Umgebung erholen konnten. Interessant ist der Inhalt der vom Boden bis zur ca. 4-5 m hohen Decke reichenden vielen Stoffbahnen mit den unzähligen Einschränkungen jüdischen Lebens zwischen 1933 und 1945 schon. Aber stilisiert man damit nicht den Schrecken zugleich als ästhetisches Raumelement, denn lesen kann das oben Stehende niemand mehr. Der Holocaust und die sehr späte Auseinandersetzung mit ihm in der Bundesrepublik fand bei der früheren Gestaltung einen eindrucksvollen Höhepunkt in der Darstellung des Majdanek-Prozesses und seines Umfelds. Das ist jetzt reduziert. Am Schluss erfährt man dafür meist von Kontingent-Juden aus Russland, wie es ihnen hier geht.

Spannend ist nach wie vor der Libeskind-Bau selbst. Natürlich haben es die Exponate schwer, sich dagegen zu behaupten, zumal der nicht übermäßig breite Gang durch die Ausstellung vorgegeben ist. Sehr eindringlich sind aber die von Libeskind geschaffenen Leerstellen (Voids), etwa das beim Begehen hart klingende Memory-Void mit den Metallgesichtern, der eindrucksvolle Holocaust-Turm am Ende der Achse des Holocaust und der ganz befremdliche Garten des Exils am Ende der gleichnamigen Achse. Bei vielen Besucher*innen lässt die Intensität der Betrachtung etwa ab der Hälfte des Durchgangs auch angesichts der vielen interaktiven Medien und Spiele, Videos und Tondokumenten deutlich nach. Man schlendert eher durch das Museum und bleibt nur ab und zu eher zufällig stehen, um etwas zu betrachten. Das war schon bei der vorherigen Gestaltung ein Problem. Auch wenn der Besuch durchaus zwiespältige Eindrücke hinterlässt, lohnt er sich doch. Er gibt auch einen Einblick in Fragen der inhaltlichen wie formalen Ausgestaltung eines Museums, das national wie international eine intensive auch politische Be(ob)achtung erfährt.