Irrenhaus-Museum auf San Servolo

Besuch am Sonntag, 9.9.2018, ca 2,5 Stunden, davon 1,5 Std. im Museum. Das ‚Museo del Manicomio‘ liegt auf der Insel San Servolo, die gemeinhin ‚Insel der Wahnsinnigen‘ genannt wird. Nachdem um 1978 das Psychiatrische Krankenhaus geschlossen worden war und nach einigen Jahren Leerstand befinden sich heute auf der Insel Einrichtungen von Universitäten und anderen Organisationen. Träger des Museums ist die Region Venedig. An Wochenenden hat es stundenweise zum freien Rundgang geöffnet, sonst mit Führungen. An der Vaporetto-Station San Marco/Zaccharia, Dock B befindet sich ein Hinweis.

Installation zur Wassertherapie mit Gegenständen zur Fixierung
Foto: Gerd Walther

Fährt man heute mit dem Vaporetto 20 auf die Insel San Servolo, so genießt man ein Refugium der Ruhe mit einem sehr schönen Blick auf die Stadt. Seit dem 8.Jh lässt sich eine Besiedlung der Insel zunächst durch Benediktiner belegen. Mit Unterbrechungen dauerte diese Ansiedlung mit Mönchen und Nonnen bis 1716. Schon da war das Kloster als Lazarett – zeitweise auch für Pestkranke – genutzt worden. Seit 1725 wurden hier psychisch Kranke untergebracht, zunächst solche aus wohlhabenden Familien, denn diese mussten für Kost und Logis aufkommen, was nicht unüblich war. Im frühen 19.Jh. wurde hier für die Region Venedig ein Irrenhaus für Männer und Frauen eingerichtet. Das war insofern ein Fortschritt, als man psychisch Kranke nicht mehr mit Bettlern, Alten, (Klein-)Kriminellen und anderen Randgruppen wegsperrte, sondern als spezifische Gruppe anerkannte. Auch dies ein Ergebnis der Französischen Revolution, in deren Gefolge die Psychiater Pinel und Esquirol allmählich Standards zur Verwissenschaftlichung einleiteten. Es war ein allgemeines Phänomen des 19. Jhs, dass sich aus dem ‚hôspital général‘ allmählich Irrenhäuser, Arbeits-(Zucht-)Häuser, Asyle für Alte und Arme, Waisenhäuser und eben auch Krankenhäuser heraus spezialisierten. Im 19. Jh. wird auf der Nachbarinsel San Clemente eine entsprechende Einrichtung für Frauen geschaffen. Auch wenn auf San Servolo Zwangsbehandlungen zugunsten der sog. ‚moral cure‘ rückläufig waren, sollte man sich dabei keine allzu humane Behandlung im heutigen Sinne vorstellen. Der Wandel verlief zudem wellenförmig. Auf beiden Inseln waren Patienten mit ganz verschiedenen psychischen Krankheiten interniert bis hin zur Arme-Leute-‚Verblödung‘ ‚Pellagra‘ (auch ‚lombardischer Aussatz‘), hervorgerufen durch einseitige Ernährung mit Mais.

Das nicht sehr große, aber interessante, gut gestaltete und informative Irrenhaus-Museum gibt mit der Geschichte der Insel diese Entwicklung wieder, wobei der Schwerpunkt auf der Entstehung und Anwendung diverser Therapieformen liegt: Beschäftigungs- (nicht zuletzt, um die Patienten zu ermüden) und Wassertherapien (bis 12 Std.), Schocktherapien mit Insulin und der aufkommenden Elektrizität, die immer differenzierter angewandt wurde, Musiktherapien, nach 1870 allmählich auch pharmazeutische Therapien und operative Eingriffe. Das Museum zeigt auch Probleme auf. So bemängelt ein Bericht im Jahr 1902, dass zur Wassertherapie, die stundenlange Zwangsbäder ablöste, für 700 Insassen nur 4 Badewannen zur Verfügung stehen. Oder dass bei vielen Patienten (halb und ganz ‚clamourous‘, lärmend) systematisch Ketten zur Fixierung verwendet werden. Die sind auch ausgestellt: verschiedene Arten von Ketten, Handschuhe, Muffe, Zwangsjacken etc. Eine lange Reihe von Patientenportraits aus den 1880ern bei der Aufnahme und Entlassung (als geheilt?) ist Beleg für die zunehmende Verwissenschaftlichung, obwohl man nicht selten meint, der Hauptunterschied bestehe darin, dass die Patienten dann geputzt, gewaschen, rasiert, gekämmt und in ordentliche Kleidung gesteckt sind.

Blick ins Museum
Foto: Gerd Walther

Bis auf einige, teilweise verstellte Großfotos und ein paar Aufnahmen in Postkartengröße von leeren Räumlichkeiten befinden sich leider wenige Aufnahmen von den Lebensbedingungen der Patienten im Museum. Das Internet mit einer Fotostrecke des Fotografen Raymond Depardon aus psychiatrischen Kliniken in Italien 1979, darunter San Servolo und San Clemente, gibt eine wohl notwendige Ergänzung (Google: Raymond Depardon, San Clemente/Fotos). Denn jetzt haben wir einen idyllischen Ort der Ruhe vor uns. Damals lebten hier um die 700 Patienten in all ihrem Dreck, Gestank, und wohl auch fürchterlichen Schreien auf der ‚Insel der Wahnsinnigen‘. Selbst wenn man sich all das nicht in seiner ganzen Härte wünscht, sollte man den Museumseindruck etwas in diese Richtung verschieben. Dessen ungeachtet haben wir ein sehr interessantes und sehenswertes Museum auf einer schönen Insel vor uns.